Radio Hamburg meets Marktforschung: Darum hören Sie genau diese Musik auf der 103.6

Ein häufiger Ausruf von Gästen des Funkhauses entsteht bei dem Blick in die Redaktionsräume: „So viele Menschen arbeiten hier? Das hätte ich nie gedacht!“

Verständlich. Im Radio hören Sie vorwiegend die Stimmen, unserer Moderatoren und Reporter. Grund genug, Ihnen die Menschen und Abteilungen vorzustellen, die solche Verwunderungsstürme bei unseren Senderbesuchen auslösen. Beginnen möchte ich hier mit Tanja Ötvös – Head of Music bei Radio Hamburg und HAMBURG ZWEI.

Tanja, danke, dass du dir die Zeit genommen hast. Wir kennen uns seit fast fünf Jahren – magst du dich dennoch einmal kurz vorstellen?

Tanja Ötvös: Gerne! Ich bin Tanja Ötvös und der Head of Music von Radio Hamburg und HAMBURG ZWEI. Damit bin ich zuständig für die Musikprogramme der beiden Sender.

Kannst du das noch etwas detaillierter umschreiben?

Tanja Ötvös: Wir erstellen für beide Sender die Musikpläne, hören uns durch jede Menge neuer Musik durch und schauen, ob die was für unsere Hörer sein könnte, und arbeiten mit Marktforschungsdaten.

Kurz: Wir tun alles, um unsere Programme aus der Musiksicht möglichst attraktiv für die Hörer zu machen

Attraktiv ist das Stichwort: Warum ist die Musik gerade im Radio so wichtig?

Tanja Ötvös: Die Musik ist nach wie vor das Einschaltkriterium Nr. 1. Musik beeinflusst Stimmungen, lässt so manches fluffiger von der Hand gehen oder funktioniert wie ein Tagebuch. Und das muss vielleicht nicht immer der angesagte Chart-Hit sein. Es gibt auch Menschen, die sich in der Klassik zuhause fühlen, viele stehen auf richtigen Rock oder hören ganz andere Sachen.

„Jemanden der sich überhaupt nicht für eine Art von Musik begeistern kann, kenne ich nicht.“

Und im Radio ist die Musik einfach leicht verfügbar. Du drückst auf einen Knopf und dann hast du Radio Hamburg oder HAMBURG ZWEI eingeschaltet und hörst die Musik, die dir wirklich gut gefällt.

Du sagtest: „wenn ich einschalte“. Was passiert, wenn ich Radio Hamburg einschalte? Höre ich dort die persönliche Tanja Ötvös-Playlist?

Tanja Ötvös: (Lacht) Oh Gott, nein! (Wieder ernst) Nee, überhaupt nicht. Wir arbeiten hier wirklich mit Marktforschungsdaten. Wir fragen also unsere Hörer, was sie hören wollen. Und das ist dann unser „Gesetz“. Es macht ja keinen Sinn Titel zu spielen, die mir persönlich vielleicht gefallen, beim Hörer aber so gar nicht ankommen. Hat also mit meinen Privatvorlieben Null zu tun.

Und wie geht ihr damit um, wenn euch neue Songs von Plattenfirmen oder Privatpersonen zugeschickt werden? Eine Marktforschung gibt es dazu wahrscheinlich noch nicht …

Tanja Ötvös: Das stimmt. Wir können aber aus unseren bisherigen Tests ableiten, was gerade bei unseren Hörern angesagt ist. Aktuell sind das „Melodic House-Geschichten“. Also der Musikstil, der durch DJ’s wie Robin Schulz, Kygo oder Felix Jaehn geprägt wurde. Wobei ich auch sagen muss: nur weil etwas Melodic House ist, muss es deswegen noch lange nicht bei uns on air stattfinden. Wenn wir aber denken, die Melodie ist gut und es ist ein ganz interessanter Titel, dann spielen wir den auch.

„Nach einer gewissen Zeit on air befragen wir unsere Hörer: Daumen hoch oder runter?“

Zu den Plattenfirmen: Uns ist es grundsätzlich egal, ob eine Nummer jetzt von einer großen Plattenfirma oder einem kleinen Independent Label kommt. Es kann auch ein großer Künstler-Name darauf stehen und trotzdem findet eine Nummer nicht großartig on air statt, wenn wir finden, sie passt nicht zu uns. Klar, hat natürlich eine neue Justin Timberlake – auch wenn sie nicht besonders dolle ist – eine größere Chance, zumindest einmal vorgestellt zu werden. So nach dem Motto: „Hört einmal, was der Typ jetzt gerade so macht.“

Ein Titel wie „No Roots“ von Alice Merton hatte keine große Plattenfirma im Rücken. Uns hat er aber richtig gut gefallen und deshalb haben wir ihn gespielt. Jetzt haben wir für unser Engagement gerade von Alice Merton selbst eine GOLDENE CD dafür bekommen.

Alice Merton überbringt ihre goldene Schallplatte Radio Hamburg. Foto: Radio Hamburg

Klingt nach einer großen Verantwortung. In wieweit würdest du sagen, dass Radio zum Erfolg oder Misserfolg eines Songs beitragen kann?

Tanja Ötvös: Es kommt ein bisschen darauf an, wie man Erfolg bemisst. In monetärer Hinsicht, also dass ein Künstler wirklich verkauft, kann Radio dazu beitragen – das ist aber nicht immer so. Es gibt manche Hits, die Hörer wirklich lieben, die sie ganz toll finden, die sie dann bei uns hören – aber nicht kaufen. Wir hatten das jetzt gerade bei der Katy Perry-Single „Chained To The Rhythm“. Die haben echt viele Radiosender gespielt. Sie hat bei uns in der Marktforschung auch ganz okay getestet, aber sich so gar nicht verkauft.

Natürlich gibt es auch Gegenbeispiele: Michael Bublé hat damals auch nicht Radiomusik gemacht. „Feeling Good“ – das war so ein Jazz-Kram, den wir total gut fanden und der sich dann im Radio durchgesetzt hat. Es gibt immer mal solche Sachen. Ein Juanes ist in Südamerika und in Spanien ein absoluter Mega-Star – bei uns kannte den keiner. Wir haben „La Camisa Negra“ gespielt und er ist super durchgestartet.

„Plays können also die Verkäufe ankurbeln, es muss aber nicht so sein.“

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Deshalb schicken uns Plattenfirmen auch nach wie vor ihre neuen Sachen. Sie wollen, dass wir sie spielen und Begehrlichkeiten erwecken. Weil es natürlich einfacher ist, eine Nummer im Radio gespielt zu bekommen und so den Konsumenten zu erreichen, als vielleicht durch irgendwelche YouTube-Geschichten oder Social Media. Gerade bei unserer Zielgruppe, die jetzt nicht nur mit Social Media aktiv ist und wirklich noch viel Radio hört. Um diese Menschen zu erreichen, ist Radio natürlich ein sehr bequemes Medium.

Apropos Erfolg: Es gibt ja die „Radio Hamburg Chartshow – Eure 20 beliebtesten Hits“. In der Sendung habt ihr als Musikredaktionen keinen direkten Einfluss auf die Auswahl der gespielten Songs, da sie auf einer statistischen Auswertung basieren. Da ist die Chance groß, dass wir Songs spielen, die so gar nicht zu den Ergebnissen der Marktforschung passen …

Tanja Ötvös: Ja, das ist wirklich eine reine Punktevergabe, da haben wir so in Anführungsstrichen „gar nichts mit zu tun“. Wir gucken uns das natürlich an und schlackern manchmal auch mit den Ohren, was da so landet. Gerade wenn es um die Deutsch-Rap-Geschichten oder Schlager geht: die sind teilweise auch außerhalb des Musikformates.

Euch schlackern die Ohren und trotzdem läuft die Chartshow on air. Wie passt das zusammen?

Tanja Ötvös: Es geht auch darum zu sagen: „Wir gucken ein bisschen über unseren Tellerrand.“ Wir wollen unseren Hörern ja auch vorstellen, was es sonst noch so an Musik da draußen gibt. Deshalb schauen wir ja auch immer nach besonderen Titeln, um diese unseren Hörern zumindest einmal vorzustellen. Das kann auch mal etwas schräger sein, Hauptsache interessant.

Als Musikredaktion habt ihr euch auch mit dem Thema „Künstlertod“ auseinanderzusetzen. Wie geht ihr damit um?

Tanja Ötvös: Das ist natürlich nicht schön, aber bei HAMBURG ZWEI ab und zu mal der Fall. Wir schauen dann: was sind die größten Hits von demjenigen gewesen? Da tauchen dann Titel auf, die in den Tests gar nicht so großartig abgeschnitten haben, aber vielleicht zu der Zeit, als der Künstler groß war, wirklich angesagte Hits waren.  Das sind Titel, wo ich denke, dass sich jeder, der sich da noch dran erinnert, drüber freut. Das macht dann natürlich schon – so bitter wie der Anlass ist – als Musikredakteur Spaß, sich damit mal richtig zu beschäftigen.

Foto: Adele Marschner / Radio Hamburg

Beschäftigen müsst ihr euch auch mit dem Thema „Vielfalt“. Wie stellt ihr sicher, dass derselbe Song nicht unmittelbar hintereinander läuft? Müsst ihr dafür jeden Song für die jeweilige Stunde händisch eintragen?

Tanja Ötvös: Tatsächlich haben wir eine Software, in der alle Titel kategorisiert sind, die wir spielen. Da gibt es die Titel die wir als Hits spielen, die gut getestet haben, die ungetesteten Neuheiten, die 2000er und die Recurrents. Recurrents, sind die Titel, die nicht älter als sechs Jahre und nicht mehr aktuelle Hits sind.

Zudem hat das Musikplansystem von mir gesagt bekommen, in welcher Reihenfolge es Titel planen soll. Es weiß also: am Montag in der 6-Uhr-Stunde muss ich einen aktuellen Hit planen, danach soll ein Titel aus den 2000ern kommen dann vielleicht eine Neuheit und so weiter. So wird jede einzelne Position besetzt. Wenn jetzt Leute sagen: „Siehst du, ich wusste, bei euch macht ein Computer das Programm“, dann bekomme ich ganz schnell schlechte Laune. Denn die Software hat wirklich nur wenige Regeln hinterlegt.

„Der Job eines Musikredakteurs ist es, den geplanten Tag einmal gegenzuchecken.“

Das dauert gerne mal zwei bis drei Stunden je Tag. Der Redakteur guckt auch auf die Mischung in der Stunde. Passt das? Habe ich da jetzt nicht zehn Tropical House-Nummern hintereinander? Wenn wirklich alles schön durchmischt ist und gut klingt, dann guckt noch ein weiterer Kollege aus der Musikredaktion darüber, ob das wirklich alles so stimmt.

Habt ihr bestimmte Kriterien, die ihr bei der Eröffnung einer Musikstrecke anwendet?

Tanja Ötvös: Es sind eigentlich immer Best-Tester die als Opener einer Stunde laufen. Auch nach Breaks, nach Werbungen und so weiter. Es sei denn, es sind Titel die anmoderiert werden müssen. Bei Radio Hamburg machen wir es so, dass wir unsere neuen Titel anmoderieren. Da sagt also der Moderator: „Jetzt ganz neu bei Radio Hamburg die Single von Justin Timberlake.“ Wir machen das, damit der Hörer, wenn er den Titel hört, weiß, dass jetzt vielleicht ein für ihn unbekannter Titel folgt. . Damit möchten wir den Hörer auf den Song aufmerksam machen und den damit auch „warmspielen“, um ihn möglichst bald in der Marktforschung testen zu lassen.

Zum Finale etwas Persönliches: Welchen Künstler würdest du gerne mal in den Sender einladen und warum?

Bruno Mars kennen zulernen wäre spannend. Ich glaube, er ist ein ganz lustiger Kerl und ich finde, als Musiker und Entertainer ist er echt großartig. Oder Ed Sheeran, der wahrscheinlich ein bisschen der Gegenentwurf zu Bruno Mars ist. Beide Künstler sind sehr beliebt bei unseren Hörern und großartige Live-Performer. Wenn auch sehr unterschiedlich: Bruno Mars mit grosser Show, Ed Sheeran meist nur mit seiner Gitarre.

Foto: Kai Z. Feng

Wo wir schon beim Thema „Künstler“ sind: Warum spielen wir eigentlich nie Songs von Helene Fischer?

Das ist ganz einfach zu beantworten: weil die Mehrheit unserer Hörer nicht auf die Musik steht. Tatsächlich haben wir unsere Hörer gefragt. So eine Nummer wie „Atemlos“ lief ja fast auf jeder Party und irgendwann haben wir uns schon die Frage gestellt: „Ist das vielleicht in unserem Mainstream angekommen?“ Im Test haben wir dann aber gemerkt, dass Helene Fischer extrem polarisiert. Die Hälfte unserer Hörer liebt es und die Anderen würden sofort abschalten. Deshalb sind wir Helene-Fischer-Frei.

Tanja, ich danke dir für das Gespräch!



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